Ich bin fasziniert von Nino Haratischwilis neuem Roman "das mangelnde Licht", fasziniert, erschreckt und sehr beschämt - weil sie sovieles beschreibt, was viele Menschen jetzt aktuell in der Ukraine erleben:
einen Krieg und auch die zerütteten Lebensbedingungen und rechtsfreien Räume mitten in der Gesellschaft vor einem Krieg und danach. Man hofft fast, dass möglichst wenig davon autobiografisch ist. Tatsache ist , dass es so viele Situationen sind, die viele Menschen in Kriegen erleben...und mit den Nachwirkungen klarkommen müssen...
Sie beschreibt die Freundschaft von vier Mädchen beginnend in den frühen 90er Jahren, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnen. Während um sie herum der Krieg in Georgien wütet - erst schleichend mit Banden und Rechtlosigkeit und Korruption und bis weit in die Familien und Freundschaften hinein Traumata durch Gewalt, Vergewaltigung, Drogen...und dann als "echter" Krieg - gehen sie gemeinsam und jede für sich ihren Weg.
In einer sehr reflektierten, oft poetischen Bildersprache erzählt Nino Haratischwili vom Aufwachsen und weiblichem Selbstbewusstsein in einer Welt, wo die Waffen unter Betten versteckt werden, wo es oft keinen Strom gibt und die Infrastruktur zusammenbricht, so dass auch das Gesundheitswesen oder ein Universitätszugang im Zweifelsfall nur durch Bestechung funktionieren. Sie beschreibt unfassbare Situationen, die die Mädchen erleben während sie auf langen Fußmärschen die Stadt Tbilissi durchqueren oder von Parties in den Bergen nachhause wollen, obwohl keine Verkehrsmittel fahren. Sie beschreibt mit gnadenlosem Blick die Abhängigkeiten und den Kampf um Souveränität von jeder einzelnen der jungen Frauen. Und die Bedeutung ihrer Freundschaft und jedem Zipfel von Glück und erlebter Liebe und Fürsorge.
"Die Struktur des Romans wird wie ein roter Faden dadurch aufgebaut, dass die Freundinnen sich nach Jahren auf einer Fotoausstellung ihrer 4. Freundin treffen und anhand von Fotos, die die Erzählerin Keto Kipiani, eine der vier Freundinnen dort betrachtet entstehen Rückblenden zu den damaligen Ereignissen und Menschen.
Diesem Buch wünsche ich sehr viele Leser*innen! gerade jetzt!
Wer noch mehr von Nino Haratischwili lesen will kann ja mit ihrem Roman "das achte Leben (für Brilka)" weitermachen.
Ich habe mich beim Lesen oft geschämt, diesen Krieg so ignoriert zu haben und aber auch große Lust bekommen nach Georgien zu reisen, in dieses Land, das sie mit so großer Liebe beschreibt und dem sie mit diesem Roman auch ein Denkmal setzt, insbesondere auch Tbilissi und der Nachbarschaft, aus der sie kommt.