Macht irgendwer von euch da draußen auch manchmal "out-of-the-Mustopf-reading"?
Das bedeutet, ich lese nicht tendenziell alles, was vorbeikommt, in den Bücherzellen steht oder gezielt die interessanten Neuerscheinungen der Stadtbibliothek, sondern mit Absicht erstens alte, -man könnte auch sagen altmodische-, Bücher und zweitens nicht-deutsche, am besten sogar noch außereuropäische Literatur. Das sind auch nicht immer die aktuellen Knaller, aber es ist spannend sich darauf einzulassen.
Heute stelle ich euch meine aktuelle Auswahl vor:
aus der Rubrik "Internationales" war es der Gesang der Berge von Nguyen Phan Que Mai, ein sehr berührendes Buch über die Leben dreier Frauengenerationen in Vietnam, vom Anfang bis zum Ende des 20sten Jahrhunderts.Die Autorin, selbst Vietnamesin, beschreibt das Leben der Frauen und ihrer Familien auf dem Land und in den Städten und vor allem den Einfluß der großen Ereignisse: die französische Besatzung, die Befreiung aus der Kolonisation, aber dann die innervietnamesischen Kriege, die Teilung Vietnams und den Vietnamkrieg und auch die Schrecken der kommunistischen "Volksherrschaft". Ganz zart schreibt sie über die Wohnkultur, die Sprichwörter und Lieder, die Gerichte, die Liebe zum Land und den brutalen Kampf ums Überleben.
Ebenfalls aus der Abteilung Stimmen von anderswo war Pantherzeit von Marica Bodrozic. Genau genommen lebt sie seit 1983 in Deutschland, hat aber einen anderen Blick und eine Biografie mit kroatischen Wurzeln. Sie kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien und das spielt in diesem Buch voller Reflexionen über die Coronazeit (den ersten Lockdown 2020) eine große Rolle. Sie versucht mit starken Bezügen auf Lyrik, Philosophie und politische Refelxion den Schock und die elementaren Veränderungen des Alltages sprachlich zu erfassen und auch zu formulieren welche Konsequenzen all das hat oder haben müsste. Sehr nachdenkenswert, zumal sie auch viel über ihre Situation als Mutter eines kleinen Kindes und als Autorin reflektiert.
Aus der Rubrik Altmodisches ein Beifang aus der Bücherzelle: von Leo Perutz "der schwedische Reiter", geschrieben im Exil 1936. Von diesem Autor habe ich noch
nie gehört. Er muß vor dem 2. Weltkrieg im deutschsprachigen Raum sehr bekannt gewesen sein. Der schwedische Reiter spielt im Schlesischen während des 30jährigen Krieges und das
Faszinierende an diesem Roman ist, dass er konsequent die handelnden Personen so sprechen lässt wie (möglicherweise) zu dieser Zeit. Woher er weiß, wie man damals gesprochen hat? Aber
beeindruckend wie er das stringent durchhält und wie es mir den Zugang zu dieser Zeit ganz anders erschlossen hat.
Ebenfalls aus der Rubrik Altmodisches war Giorgio Banzanis "die Gärten der Finzi-Contini", erstmals veröffentlicht 1962. Es handelt von jüdischen Familien im italienischen Ferrara, insbesondere von der Tochter einer sehr reichen Familie und ihren Freund/innen, die alle nicht wahrhaben wollen, wie sich ihr Alltag durch den Faschismus ab 1936 verändert und schließlich zur Katastrophe wird. Wie mit einem Brennglas fokusiert Basani auf diese jüdische Familie und die Bedeutung, die ihr großer Garten als Zufluchsort zunehmend gewinnt und beschreibt, immer eher angedeutet, all die Formen der Liebe, die diese Menschen dort erleben: erste Liebe, Geschwisterliebe, Elternliebe, Heimatliebe, tiefe (Männer-)Freundschaften. Über allem schwebt die Trauer über die zerstörten Leben und den verwilderten Garten als Sinnbild dafür. Das Buch gibt es auch als Film (1970)